Samstag, 31. März 2007

Die neue Bürgerlichkeit und ihr Kunstmarkt oder warum wir uns auf den Crash freuen dürfen

Die Sofas haben Hochkonjunktur, in den Salons ihrer Besitzer wird die Liebe zur Kunst als Gesellschaftsspiel praktiziert. Die Künstler sonnen sich im Erfolg. Die Akteure des Handels sonnen sich auf der Insel. Der Staat zählt zu den großen Auftraggebern. Wer als Künstler den gesellschaftlichen Durchbruch geschafft hat, Teil des Kunstbetriebes geworden ist, startet wie eine Rakete durch: Noch ehe die Leinwand trocken ist, ist sie schon verkauft. Junge Künstler feiern Ausstellungen, ihre Werke hängen in Museen. Kunst wird auf mondänen Partys zelebriert: Ein Panorama fast wie im 19. Jahrhundert! Erst die Avantgarde Ende des 19. Jahrhunderts sagte damals dem etablierten Betrieb mit seinen Malerfürsten den Kampf an. Zur Erinnerung: Picasso hatte seine erste Retrospektive im Alter von 85 Jahren! Heute schreiben wir mit 30 die erste sensationelle Autobiografie und feiern die große Werkretrospektive von 28 jährigen Künstlern. Die Markenbildung durch Akkumulation von Aufmerksamkeit war offenbar noch nie so leicht wie heute für junge Künstler. Schön für die Kunst und die Künstler. Und dabei bieten Sie auch ein schönes, vielseitiges Programm für die Lifestile-Konsumenten. Es ist einfach Ausdruck von Bildung, sich mit Kunst zu umgeben, die völlig neue Dimensionen der Ekelgrenze definiert. Umso so stärker der Gestus der Trash-Toleranz bzw. Trash-Kenntnis, desto mehr zeichnet man sich als Kenner aus. In ist, wer die speziellsten Werke sein eigen nennt, sich zu den unmöglichsten Darstellungen intelligent äußern kann. Wir feiern eine Schein-Avantgarde, die uns Real-World nach Hause bringt. "Ja, es ist echter Staub, der hier auf vorher sauber gewaschenem Fabrikboden gleichmäßig verteilt worden ist." Kunstmarkt, genau wie der Buchmarkt, braucht Futter! Unmengen von Nachschub müssen jeden Tag produziert werden. Der ästhetische Betrieb bindet gewaltige Geldmengen an sich. Investoren - den Ausdruck würden die Jäger nicht hören wollen - wollen nicht enttäuscht werden. Der Kunstmarkt ist längst zum Pokerspiel geworden. Wer zuerst aufgibt ist Verlierer und bringt damit zusätzlich noch das ganze Haus zum Einstürzen. Wachstum heißt die Devise. Die großen Marken des Betriebes sind leider all zu häufig Epigonen, die auf der Liefestile-Schleppe des Geldes stehen. "Weh Dir, dass Du ein Enkel bist" wie Goethes Mephisto warnt. Im 19. Jahrhundert kam Gott sei Dank die Avantgarde, die ihren Namen verdiente. "Eraser" wie Picasso, die gnadenlos neue Formen des Ausdrucks fanden. Oft in großer Einsamkeit, fern ab vom Kunstbetrieb. Wir können also zuversichtlich sein: Irgendwo da draußen wird ein Künstler sitzen, ganz einsam für sich arbeitend, um den wir die Kunstgeschichte des 21. Jahrhunderts schreiben werden können. Wer sonst hätte heute die Geduld, bis zu seinem 86. Lebensjahr auf die erste Retrospektive zu warten? Wir können uns auf die reinigende Sintflut freuen...Bis dahin genießen wir noch den Aufschwung des Kunstbetriebs mit seinem Bedarf an Messehäppchen, Partyzelten, Großleinwänden, Katalogen, Messereisen, Theateraufführungen...kurz genießen wir das bürgerliche Kunsttheater! Hereinspaziert, es sind noch Bilder da! Die Kunst wird derweil ganz in Ruhe und Einsamkeit irgendwo da draußen von einem einsamen Genie gemacht. Anselm Kiefer läßt hoffen...aber wo ist sein Enkel, der nicht Enkel ist?

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